Grünland oder wie das Erntedankfest entstand

art-and-fun Geschichten – GrünlandEs war einmal ein kleiner König, der herrschte über ein Land, fern von den großen Ländern dieser Welt.

Es war ein kleines Land, nur wenigen bekannt und daher kaum besucht.

Dieses Land aber war besonders. Es war von einem einzigartigen Grün, uralte, riesige Bäume, saftige Wiesen und die schönsten, farbenprächtigsten Blumen wuchsen dort. So wurde es seit Menschengedenken von seinen Bewohnern nur „Grünland“ genannt.

Der kleine König, Grünlich der XXVI. war stolz auf sein Reich. Jeden Morgen stand er früh auf und ging in seinen Garten. Die Gärtner des königlichen Hauses wurden von ihm selbst ausgewählt und sehr genau achtete er auf eine sorgfältige Pflege seines Gartens. Um zwei alte Eichbäume aber kümmerte sich der König selbst. Es waren die ältesten und mächtigsten Bäume Grünlands und sie gab es schon lange bevor das Geschlecht der Grünlichs über das Land gebot. Der Sage nach würde das Land in stetem Reichtum erblühen solange die zwei Eichbäume in unveränderter Pracht stünden. Und so liebevoll wie Grünlich der XXVI sich um diese kümmerte, so ernst nahm er auch das Wohl des ganzen Reiches.

Den Bewohnern von Grünland fehlte es an nichts. Sie bestellten ihre Felder, züchteten riesige Früchte und ernteten jedes Jahr mehrere Male. Denn alles in Grünland wuchs schneller und üppiger als irgends auf der Welt. So waren sie sehr zufrieden mit ihrem Los und ihrem König, der Ihnen stets mit gutem Beispiel voranging.

Geld war in Grünland unbekannt. Alles, was zum Leben gebraucht wurde, war im Überfluss vorhanden und jeder Bewohner arbeitete sechs Stunden in der Woche für das Wohl aller. Gemeinsam reparierten sie Straßen und gemeinschaftliche Plätze, halfen ihren älteren Mitbewohnern beim Erneuern ihrer Häuser, halfen bei der Ernte und vieles mehr.

Auch gab es keinen Diebstahl oder Raub. Jeder hatte, was er zum Leben brauchte und sollte einmal etwas fehlen, so gaben Freunde und Nachbarn bereitwillig von dem Ihrigen ab.

Grünland war wahrhaftig ein glückliches Land.

Eines Tages rumpelte ein Wagen, gezogen von einem erschöpften Pferd, über den Marktplatz. Ein fremder, ungewöhnlich gekleideter Mann saß darauf.

Grünlich gab seinen Begleitern einen Wink den Mann willkommen zu heißen. Der Mann stellte sich als Aldo, Kaufmann vor aus dem weit entfernten Land „Argentia“. Keiner der Grünländer und auch ihr König nicht hatte je zuvor einen Kaufmann gesehen. Doch Grünlich bezwang seine Neugier, als er sah, wie müde der Fremde von seiner langen Fahrt war. So lud er ihn in den königlichen Palast ein, gab ihm sein schönstes Zimmer und bewirtete ihn aufs köstlichste, bis der Kaufmann des Abends müde ins Bett sank. Auch Aldos Pferd wurde versorgt, gestriegelt und gebürstet und in den Ställen des Königs untergebracht. Gastfreundschaft wurde in Grünland sehr ernst genommen.

Am nächsten Morgen hatte sich bereits eine stattliche Menge von Menschen um den Palast versammelt, um den Gast des Königs zu sehen. Alle wurden eingeladen den Erzählungen Aldos zu lauschen, der aus fernen Ländern und von fremden Gepflogenheiten berichtete.

So manches Mal waren die Grünländer sehr verwundert. Sie begriffen nicht, wozu man z.B. Geld braucht, warum man neue Dinge kaufen sollte, obwohl die alten doch noch funktionstüchtig waren. Und wozu benötigt man etwas namens „Mode“? So verbrachten der König und seine Untertanen den Tag mit den abenteuerlichsten Geschichten.

Am nächsten Tag zog Aldo weiter. Da Grünlich der XXVI nichts für seine Gastfreundschaft nehmen wollte, schenkte der Kaufmann ihm als Dank einen kleinen Ballen feinsten Stoff und versprach, ihn bald wieder einmal zu besuchen.

Des Königs Gattin, Königin Grünhilde freute sich sehr. Sie ließ sich und ihrer Tochter sogleich ein wunderbares Kleid aus dem Stoff schneidern, um welches sie, des strahlenden Blaus wegen, bald jede Frau in Grünland beneiden sollte.

In dieser Nacht hatte der kleine König einen werkwürdigen Traum. Er schritt durch seinen Garten und alle Pflanzen wurden lebendig. Sie sprachen auf ihn ein, gestikulierten mit ihren Ästen und Blättern, ließen ihre Kronen rauschen und in so manch einem Baum war ihm als könne er eine Seele sehen. Doch so sehr er sich auch bemühte – denn er ahnte wohl, dass sie ihm etwas mitteilen wollten – konnte er nichts verstehen.

Er erwachte am Morgen mit einem dumpfen Gefühl. Im Laufe des Tages jedoch begann der Traum immer mehr zu verblassen und da er die nächsten Tage wieder tief und fest schlief, hatte er den Traum bald schon vergessen.

Nur wenige Wochen waren vergangen, als der Kaufmann abermals nach Grünland kam. Diesmal jedoch folgten ihm zwei weitere Wägen, die bis oben hin mit glänzenden Gerätschaften beladen waren.

Als die Frauen die Wägen kommen sahen liefen sie hinaus, dem Kaufmann entgegen. Zu gerne wollten auch sie ein Stück dieses so blauen Stoffes haben Der Kaufmann beruhigte sie, hatte er doch genügend von diesem und viele weitere leuchtend bunte Stoffballen geladen.

Als sich bereits eine große Traube um Aldo versammelt hatte und er mit dem Verkauf beginnen wollte, standen die Bewohner Grünlands vor einem Problem: Keiner von ihnen besaß Geld. Da sie es gewohnt waren zu tauschen, boten sie dem Kaufmann ihre selbst gemachten Körbe, Kleidung, Getreide oder auch Pflanzen und kleinere Tiere an. Aldo rechnete den Wert aller Dinge um, nahm die Tauschwaren entgegen und gab dem einen oder anderen noch etwas Geld zurück. Die Farben der Stoffe und all die glänzenden Gegenstände waren so schön anzusehen, dass die meisten weit mehr kauften, als sie eigentlich wollten.

Aldo verbrachte auch diese Nacht wieder im Palast von Grünlich. Da er am nächsten Morgen weiterziehen wollte, stattete er Grünlich einen Abschiedsbesuch ab: „Sehr verehrter König. Ich weiß Eure Gastfreundschaft wohl zu schätzen und weiß, dass Ihr nicht gewillt seid, etwas von mir dafür zu nehmen. Da aber auch ich Euch gerne eine Freude bereiten möchte, so bittet doch Eure Gemahlin, sich etwas von meinen Waren auszusuchen“.

So ging Grünhilde abermals zu Aldos Wägen. Diesmal aber konnte sie nichts finden, hatte sie doch am Vortag alles, was ihr Herz begehrte, erstanden. So gab er ihr einige der glänzenden Münzen. „Verehrte Hoheit, eine weise Entscheidung, wenn ich mir dieses Urteil erlauben darf. Könnt Ihr diese doch allezeit gegen alles eintauschen, was Ihr Euch wünscht. Geld wird nicht verderben. Und – wenn ich so sagen darf – das Gold ist einer wahren Königin wert“.

„Können wir denn nicht eigenes Geld machen? Es dürfte doch nicht schwer sein, kleine runde Täfelchen wie diese zu machen? Dann könnten wir Euch, lieber Aldo, bezahlen, wenn Ihr das nächste Mal kommt“. „Das geht leider nicht“ sprach Aldo „Euer Geld würde in fremden Landen nicht genommen werden. Es hätte keinen Wert. Nur Gold – die Währung der Könige, könnt Ihr überall eintauschen und damit bezahlen“. So unterhielten sie sich noch eine Weile, bis Aldo sich auf den Weg machte.

Grünhilde setzte sich auf eine Bank nahe den Stallungen. Grünlich fand sie dort, in sich versunken: „Grünhilde, worüber denkst Du nach?“ fragte er. „Ach weißt Du mein Lieber, ich bin etwas verwirrt. Aldo hat mir viel von anderen Königreichen erzählt. Dort muss ein König nicht so viel tun, er hat keine schwere Arbeit oder überhaupt Arbeit mit seinen Händen zu verrichten, trägt er doch die Verantwortung für das Land und muss zur rechten Zeit das Richtige entscheiden. Dafür erhält er viel Gold und trägt reiche Kleider, damit jeder seiner Untertanen sieht, welch mächtiger Herrscher er ist.“ „Ja aber wozu denn? Braucht und will das Volk das denn?“ fragte Grünlich der XXVI sehr verwundert. „Nun ja, lieber Grünlich, das Volk ist nicht klug genug selbst zu entscheiden, der König bestimmt über ihr Los. Und sollte das Volk sich gegen ihn erheben, so hat der König Gold, auf dass er sich verteidigen und Männer bezahlen kann, die für ihn kämpfen“. „Aber das ist doch Unsinn Grünhilde, bei uns muss sich keiner verteidigen. Wen das Volk nicht akzeptiert, der ist nicht wert zu regieren. Wir alle wollen, dass es uns gut geht. Und jeder hier kennt mich, wozu brauch’ ich da kostbare Kleidung?“

„Aber Du könntest doch richtig reich und mächtig werden. Wenn Du Männer bezahlen kannst, die für Dich andere Länder erobern?“

„Grünhilde, Aldo mag ein weit gereister Mann sein. Aber von unserem Land und unseren Gepflogenheiten versteht er nichts. Haben wir nicht das schönste Land, das man sich wünschen kann? Belassen wir alles wie es ist, es ist gut so“. Er gab Grünhilde einen Kuss und machte sich auf den Weg zum Palastgarten.

Die nächsten Wochen verwandelten das Land. Die Bewohner stellten stolz ihre neuen Besitztümer aus, zählten ihre Goldmünzen und begannen auch untereinander Waren in Geld zu tauschen um noch mehr vom ersehnten Gold zu erhalten. Bald schon wollte niemand mehr tauschen. Zwar gab es genügend Lebensmittel und Waren, das Geld jedoch war knapp und niemand mehr wollte Ware gegen Ware haben. Da machten sich einige junge Männer mit Wägen voller Lebensmitteln und Pflanzen auf, um die Waren in fremden Landen gegen Geld zu tauschen.

Nach wenigen Wochen kamen sie zurück. Viel Gold hatten sie für ihre Fuhre erhalten, welches sie stolz ihren Nachbarn und Freunden zeigten. Für einiges davon hatten sie wiederum neue Dinge erstanden. So hatten sie schönes Geschmeide, kostbare Stoffe und reich verziertes Geschirr mitgebracht.

Neidisch erblickten die übrigen Grünländer die fremden Schätze und das viele Gold. So machte sich schon bald ein neuer Trupp Männer auf, ihr Glück in der Fremde zu suchen. Auch sie kamen bald schon mit Gold und kostbarem Gut beladen nach Hause. „Nichts“, so sagten sie „blüht und gedeiht dort so schön wie bei uns. Wir haben viel Geld für unsere Waren erhalten. Lasst uns bald wieder los und eintauschen, was wir besitzen. Es wird nicht lange dauern und wir werden sehr reich sein“.

Grünland erlebte einen wahren Goldrausch. Wer es sich leisten konnte, ging gar nicht mehr selber auf die Felder, sondern bezahlte andere dafür, die Felder zu bestellen, und waren mehr am Geld als an der Pflege der Ländereien interessiert. Lediglich die Alten, die eine so lange Fahrt in fremde Länder nicht unternehmen konnten, kümmerten sich weiter um ihr Stückchen Land.

Die übrigen Grünländer hatten ihre Freude darin sich prächtig gekleidet und geschmückt auf den Straßen zu zeigen. So blieben dringende Arbeiten liegen und viele Alte und Kranke lebten in Häusern, in die es herein regnete oder Schlimmeres. Die Reichsten der Grünländer putzen ihre Häuser auf und ließen sich Riegel schmieden, mit deren Hilfe sie ihre Türen verschließen konnten.

Grünlich der XXVI, der die Veränderungen in seinem Land mit Besorgnis bemerkte, versuchte seine Untertanen von der Sinnlosigkeit ihres Tuns zu überzeugen. Niemand aber wollte auf ihn hören und so ließ der König es dabei bewenden. In dieser Zeit träumte er viel. Wieder und wieder sprachen Bäume und Pflanzen zu ihm, deren Botschaft er langsam entschlüsseln lernte. So tat er wie ihm geheißen und harrte der Dinge, die da kommen sollten.

Trotzdem die nächste Ernte mager ausfiel, packten die Einwohner ihre Wägen voll und machten sich auf den Weg nach Argentia.

Schnell kamen die Reisenden diesmal zurück, erschöpft und enttäuscht waren sie. Die diesjährige Ernte in der Fremde war reichhaltiger als sonst ausgefallen. So erhielten die Grünländer nur spärliches Geld für ihre Früchte und ihr Getreide. Zum ersten Mal mussten sie mit ihren Vorräten haushalten. Missmut und Unzufriedenheit machten sich breit.

Als die Zeit der dritten Jahresernte hätte kommen sollen, bemerkten die Grünländer, dass nichts so war wie zuvor. Nichts war mehr wirklich saftig und grün, selbst das Gras auf den Wiesen und Weiden war gelblich und verdorrt, trotz des vielen Regens, der in diesem Jahr gefallen war. Kaum noch etwas blühte, spendete Farbe oder duftete. Alles schien grauer und leblos zu sein. Einzig die beiden Eichbäume im Palastgarten trugen noch ihre Krone, wenn auch spärlicher.

In Grünland bahnte sich eine Hungersnot an. Die letzten Vorräte waren bald verbraucht und so machten sich einige junge Männer wieder auf den Weg. Diesmal mit leeren Wägen um Lebensmittel, Samen und Schösslinge zu kaufen. Doch auch anderswo war das Essen knapp und alles Essbare war teuer. So waren sie gezwungen all ihr Geld und ihre teuer erworbenen Schätze, das kostbare Geschirr, die seidenen Stoffe und das glitzernde Geschmeide für eine wenig Getreide und Früchte wegzugeben.

Auch diese Vorräte wurden verbraucht. In Grünland herrschte zum ersten Mal seit Menschengedenken bitterer Hunger. Einzig die Alten hatten noch zu Essen. Gerne gaben sie den Hungernden ab. So schweißte der Hunger die Grünländer wieder zusammen. Nach und nach kehrten Gemeinschaft und Anteilnahme in ihre Herzen zurück. Die Häuser der Alten wurden repariert und viele Arbeiten wieder gemeinsam erledigt.

Als Grünlich der XXVI das sah, rief er alle Bewohner Grünlands zusammen „Ich freue mich Euch alle zu sehen. Ich freue mich zu sehen, dass Ihr trotz des Hungers noch lachen und Euch aneinander freuen könnt. Und ich freue mich auch, dass Ihr wieder für einander da seid und gelernt habt das zu schätzen, was uns so im Überfluss geschenkt wird. Wir waren alle Zeit reich – und haben es nur vergessen. All das möchte ich mit Euch feiern – lasst uns ein großes Fest ausrichten. Bitte seid morgen Abend meine Gäste.“

Am nächsten Abend versammelten sich die Grünländer im Palastgarten. Kaum wollten sie ihren Augen trauen, so bogen sich die Tische unter dem Gewicht der königlichen Speisen. Es wurde ein rauschendes und ausgelassenes Fest. Viele Male ließen die Grünländer ihren König hoch leben, der alles hatte kommen sehen und in weiser Voraussicht gehandelt hatte. Sie erinnerten sich seiner Worte vor vielen Monaten, die sie nicht hatten hören wollen und schworen sich, etwas derartiges nie wieder zuzulassen.

Nach diesem Jahr feierten die Grünländer jedes Jahr ein großes Fest zu Ehren der Natur, welches in allen anderen Ländern Jahrhunderte später als „Erntedankfest“ bekannt wurde.

Am stolzesten von allen aber war Grünhilde, wenn auch etwas beschämt, hatte sie doch an der Weisheit des großen, kleinen Königs Grünlich des XXVI gezweifelt.

ENDE